Seit mehr als zwei Monaten findet in Europa ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg statt, in dieser Form der erste seit dem zweiten Weltkrieg. Dieser Krieg ist für uns alle ein Schock und hat vieles weggefegt, was uns als sicher und selbstverständlich erschien. In diesem Kontext war von verschiedenen Seiten zu hören und zu lesen, das Bemühen um Nachhaltigkeit im Allgemeinen und nachhaltiges Investieren im Besonderen seien entweder „überflüssiger Luxus“ oder schlichtweg die falsche Herangehensweise.
Mit einer kleinen Serie wollen wir uns an drei Diskussionen beteiligen, die durch den Krieg in der Ukraine hochgekocht sind. Die erste dreht sich um die Frage der Rüstungsindustrie und ihrer Finanzierung. Nicht weniger umstritten sind die Positionen bei der Energieversorgung. Und auch beim Thema Ernährungssicherheit werden alte Gegensätze durch die aktuelle Krise verschärft.
Teil 1: Wie sinnvoll ist es, Investitionen in Waffen auszuschließen?
Nahezu jeder Ansatz der nachhaltigen Kapitalanlage schließt Waffenhersteller aus. Dies betrifft mindestens die Hersteller sogenannter kontroverser Waffen wie Streubomben, in der Regel aber die komplette Palette von Handfeuerwaffen über (halb-)automatische Gewehre bis hin zu Kampfflugzeugen und Raketen(-Sprengköpfen). Die typischen Umsatzgrenzen liegen zwischen 0 und 5 %, gelegentlich auch bei 10%.
Der Vorwurf lautet nun, dass der Ausschluss von Waffenherstellern augenscheinlich nicht der Lebenswirklichkeit entspricht. Denke man die Umsetzung des Ausschlusses zu Ende, so nehme man dem Angegriffenen die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Denn ohne eine ausreichende Finanzierung lassen sich die Waffen zur Verteidigung nicht herstellen. Zudem gibt es das Bestreben, Waffen als nachhaltig einzuordnen, da sie einen Beitrag zur sozialen Sicherheit leisteten. Dieser Anspruch wird konkretisiert mit Bezug auf die EU-Taxonomie und die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs).
Natürlich erkennen wir an, dass eine Welt ohne Waffen gerade jetzt utopisch anmutet. Und selbstverständlich stellen wir auch keineswegs das Recht auf Selbstverteidigung infrage. Wie häufig bei der Diskussion von Nachhaltigkeitsthemen macht es aber keinen Sinn, plakative Antworten zu geben. Stattdessen ist es erforderlich, in die Details auf Unternehmensebene einzusteigen und entsprechend zu differenzieren. Dazu ist offenkundig intensives Research erforderlich, dass sowohl in Form von direkten Unternehmensgesprächen als auch durch unsere ESG-Research-Provider erfolgt.
Waffen sind nicht gleich Waffen
Zunächst muss hinsichtlich des Typus der hergestellten Waffen unterschieden werden, allen voran zwischen
1. kontroversen Waffen (z.B. Streubomben) und geächteten Waffen (z.B. biologische und chemische Waffen) sowie
2. konventionellen Waffen (Gewehre, Panzer, Kampfflugzeuge)
Kategorie 1 verbietet sich aus unserer Sicht in jedem Portfolio mit Nachhaltigkeitsanspruch. Dass dies keineswegs in der Breite des Marktes so gesehen wird, zeigte jüngst eine Analyse von Morningstar. Anbieter, die hier auffällig sind, praktizieren aus unserer Sicht Greenwashing in einer extremen Ausprägung.
Was speziell geächtete Waffen betrifft, haben diese unseres Erachtens auch in konventionellen Indizes nichts verloren. Aus diesem Grund haben wir bereits 2019 einen offenen Brief an Indexanbieter unterzeichnet. Darin fordern wir, die Hersteller dieser Waffensysteme aus den Indizes zu entfernen (s. fairinvestiert, Februar 2019: Gegen geächtete Waffen).
Diskussionsbedarf verbleibt damit hinsichtlich der Hersteller konventioneller Waffen. Doch auch hier ist eine weitere Differenzierung notwendig, in diesem Fall nach dem Einsatzbereich der jeweiligen Waffen. Hier lassen sich drei Kategorien unterscheiden:
1. Verwendung im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols
2. Verwendung als Exportgut
3. Verwendung als „Konsumgut“ (Hierunter fällt beispielsweise der Verkauf halbautomatischer Gewehre im Supermarkt, der in den USA üblich ist. Viele dieser gefährlichen Waffen werden von kriminellen Gangs oder Amokläufern eingesetzt.)
Waffen für den Einsatz bei Polizei und Armee des eigenen Landes bzw. der NATO sind sicherlich anders einzustufen als solche, die im Rahmen von Exportaktivitäten zum Einsatz kommen. Auch wenn letztere staatlicher Genehmigungen bedürfen, zeigt die Historie, dass sowohl Hersteller als auch Politik hier oft zweifelhafte Entscheidungen getroffen haben. Im Zwiespalt zwischen dem Arbeitsplatzargument und der Sicherstellung ethischer Normen kommt nicht immer der Grundsatz „safety first“ zur Anwendung. Ebenso wenig kann sichergestellt werden, dass exportierte Waffen nicht später den Weg in dunkle Kanäle finden. Dies kann mit Absicht geschehen, passiert häufig aber auch unbeabsichtigt. Wenn das belieferte Land eine Niederlage auf dem Schlachtfeld erleidet oder die Regierung gestürzt wird, geraten die Waffen schnell in falsche Hände und verursachen dann mitunter großes Leid.
Wir bleiben uns treu
Viele Menschen teilen die Ansicht, dass in der Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt wird. Die ukrainische Regierung bittet hierfür um die Lieferung schwerer Waffen, auch von deutschen Rüstungsfirmen. Selbst bei Menschen, die Krieg und Aufrüstung im Grundsatz ablehnen, findet die militärische Unterstützung des angegriffenen Landes vielfach Zustimmung. Dennoch gibt es auch die andere Seite: Wer sich wünscht, Produkte von Rheinmetall und Thyssenkrupp an die Ukraine zu liefern, sollte nicht übersehen, dass Waffen beider Unternehmen auch im mörderischen Bürgerkrieg im Jemen zum Einsatz kommen.
Es mag sein, dass ein Frieden in der aktuellen Weltlage nur möglich scheint, wenn sich demokratische Staaten wehrhaft zeigen und so potenzielle Aggressoren wirksam abschrecken. Wahr ist aber auch: Die (Atom-)Waffen, die uns heute Angst einjagen, sind das Ergebnis früheren Wettrüstens. Dieses mag zwischenzeitlich eine Balance des Schreckens hergestellt haben, eine nachhaltige Lösung und ein dauerhafter Frieden wurde aber nicht erreicht. Eine Welt, in der tödliche Waffen in immer mehr Hände gelangen, ist weitaus schwieriger zu kontrollieren und zu befrieden.
Eine Welt ohne Waffen mag daher eine Illusion sein, aber dass mehr Waffen mehr Frieden bringen, ist ebenso eine Illusion, die zu verfolgen gefährlich ist.
Im Ergebnis halten wir es daher nicht für sinnvoll, und darin fühlen wir uns auch durch Gespräche mit unserer Kundschaft bestätigt, im Rahmen unserer Investmentprodukte die beschriebenen Graubereiche auszuloten. Es sollte nicht Aufgabe privater Investoren sein, Kriege zu finanzieren. Wir und auch die Mehrheit unserer Kunden wollen nicht den eigenen Wohlstand durch die Finanzierung von Waffen mehren, erst recht nicht, während andernorts Existenzen zerstört und Menschen getötet werden. Deshalb sehen unsere Nachhaltigkeitsrichtlinien für Rüstungsgüter Folgendes vor:
Die Steyler Ethik Bank investiert nicht in Produzenten von Rüstungsgütern. Hier gelten im Einzelnen folgende Regeln:
Kontroverse Waffen: Unternehmen, die kontroverse Waffen oder Schlüsselkomponenten für diese herstellen, schließen wir konsequent aus (Umsatzschwelle 0 Prozent). Hierzu zählen auch geächtete Waffen – nach dem „Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes“ sind dies z. B. ABC-Waffen und Landminen.
Zivilwaffen: Auch für die Produktion von Waffen für den zivilen Gebrauch gilt bei uns eine 0-Prozent-Umsatzschwelle.
Militärische Ausrüstung: Wir investieren nicht in Produzenten von Rüstungsgütern. Für Ausrüstung, die im Kampfeinsatz genutzt wird (Combat-Involvement), gilt die Schwelle von 0 Prozent, für den Rest die Schwelle von 1 Prozent. Auch wer mehr als 1 Prozent mit dem Handel von Rüstungsgütern für den Kampfeinsatz verdient, wird ausgeschlossen.
Andreas Stehr