Biodiversität: Ohne Vielfalt wird's ungemütlich auf der Erde

Woran denken Sie zuerst bei Umweltgefahren globalen Ausmaßes? Vermutlich sind Begriffe wie Klimawandel, globale Erwärmung oder CO2-Ausstoß ziemlich vorne dabei. Doch es gibt mehr Themen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen. Andreas Stehr erklärt, warum schwindende Biodiversität ein besonders großes Problem ist.

Atemberaubende Artenvielfalt unter Wasser: Dieser Schatz ist bedroht.

Im Jahr 2009 wurde ein Begriff geprägt, der für uns Menschen zu einer enorm wichtigen Orientierungshilfe werden kann. Die Rede ist von den "planetaren Belastungsgrenzen". Die Idee dahinter: Nicht die Natur ist von den Menschen abhängig, also ein zerbrechliches schutzbedürftiges Gut, sondern wir Menschen von der Natur.

Wissenschaftler identifizierten daher die wichtigsten Themenkomplexe, von denen abhängt, ob die Erde auch in Zukunft für uns Menschen bewohnbar bleibt. Die Belastungsgrenzen geben einen Hinweis darauf, wo sich die Menschheit noch in einem sicheren Handlungsrahmen bewegt und wo dieser bereits verlassen wurde.

Die prominenteste dieser Belastungsgrenzen ist sicherlich der Klimawandel, obwohl es sich nach den aktuellen Forschungsergebnissen keineswegs um die am meisten angespannte Grenze handelt. Andere Themen sind zum Beispiel die Art der Landnutzung, der Wasserkreislauf und eben die Biodiversität.

Die folgende Übersicht zeigt, welche Belastungsgrenzen nach Ansicht vieler Forscher bereits überschritten wurden. Nicht vergessen sollte man dabei, dass es zwischen den einzelnen Themenkomplexen Wechselwirkungen gibt. Gemäß der Erkenntnis „Alles ist mit allem verbunden“.

Erläuterung: Planetare Leitplanken nach der Studie von Will Steffen et al. (2015) und Linn Persson et al. (2022). Die roten Bereiche zeigen den derzeitigen Status der jeweiligen Teilbereiche. Der grüne innere Kreis markiert die sichere Belastungsgrenze/Leitplanke, der gelbe Kreis den Unsicherheitsbereich mit steigenden Risiko. Ausserhalb des gelben Kreises gelegene Bereiche stellen ein hohes Risiko für die Menschheit dar. (© Felix Joerg Mueller, Wikimedia Commons)

 

Biodiversität ist ein Indikator für die „Vielfalt innerhalb von Arten, zwischen Arten und von Ökosystemen“. So steht es im „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ (Convention on Biological Diversity - CBD), das von 196 Staaten unterzeichnet wurde.

Doch warum ist Biodiversität für uns Menschen so bedeutend? Hier sind materielle und nicht materielle Aspekte zu unterscheiden.

Was die Natur uns schenkt …

Die materiellen Aspekte beschreiben sogenannte Ökosystemdienstleistungen. Ein besonders leicht verständliches Beispiel ist die Bestäubungsleistung von Insekten. Wenn Insekten die Blüten eines Apfelbaums bestäuben, leisten sie einen Beitrag, der sich in einen Geldwert umrechnen lässt. Ohne Insekten keine Äpfel, so die einfache Gleichung. Oder zumindest keine Äpfel zum Nulltarif, denn in manchen Gegenden bestäuben schon heute bezahlte Arbeiter die Bäume von Hand, weil der Kreislauf der Natur ernsthaft geschädigt ist.

Was die Natur an Gratisleistungen für uns Menschen bereit hält, ist enorm. Schätzungen gehen davon aus, dass der Gesamtwert der verschiedenen Leistungskategorien zwischen 50 und 200 Prozent der  globalen Wirtschaftsleistung ausmacht. Selbst wenn man der vorsichtigsten Schätzung folgt, wird klar, dass das Thema Biodiversität systemrelevant ist.

Weniger gut in Zahlen zu fassen sind die nicht-materiellen Aspekte. Hierunter fällt zum Beispiel eine intakte Natur als „Wert an sich“. Schließlich spielt das Naturerleben eine große Rolle für das menschliche Wohlbefinden.

Das Massensterben ist im Gange

Im oben beschriebenen Konzept der planetaren Grenzen ist die Biodiversität aktuell die bei weitem angespannteste. Viele Forscher sprechen in diesem Kontext auch davon, dass derzeit das „6. Massenaussterben“ in der Geschichte unserer Planeten im Gange ist. Nummer fünf war die Katastrophe, die zum Aussterben der Dinosaurier führte, und liegt über 60 Mio. Jahre zurück.

Biologische Vielfalt wird häufig als „Luxusproblem“ unter den vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit betrachtet. Doch das lässt die Tatsache außer Acht, dass der Rückgang biologischer Vielfalt zahlreiche unterschiedliche Auswirkungen auf unser Leben hat.

Beispiele gefällig?

1. Viele im Einsatz befindliche oder perspektivisch nutzbare Medikamente basieren auf Stoffen, die Forscher in der Natur gefundenen haben. Penicillin ist sicherlich das bekannteste Beispiel in dieser Kategorie. Vielleicht weniger geläufig, aber in diesem Kontext passend, ist die sogenannte „Antibiotika-Krise“. Da Erreger immer mehr Resistenzen gegen gängige Antibiotika entwickeln, werden wir in Zukunft neue, wirksamere Mittel brauchen. Gerade in den Regenwäldern vermuten Forscher noch unzählige unbekannte Schätze. Wie kurzsichtig ist es daher, dieses natürliche Reservoir zu zerstören?!

2. In der Natur gibt es in allen Bereichen Gleichgewichte der Arten. Zum Beispiel ruft eine hohe Geburtenrate von Kartoffelkäfern Fressfeinde wie Frösche oder verschiedene Vogelarten auf den Plan. Sind diese bereits vorher stark dezimiert, fehlt das natürliche Korrektiv.

In der Vergangenheit unseres Kontinents, und auch heute noch anderswo auf der Erde, resultierten aus solchen Störungen des Gleichgewichts Hungersnöte. In der Gegenwart werden meist – mehr oder weniger sachgerecht – chemische Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt. Daraus resultieren dann wiederum weitere Verluste an Biodiversität, womit sich die Spirale weiter dreht.

3. Andere Beispiele sind die Luftreinigung durch Pflanzen oder die Regulierung von Klimaprozessen durch Ökosysteme wie Mangroven, Moore oder Urwälder.

„Nutzungsdruck“ zerstört Vielfalt

Einer der primären Treiber für den Verlust von Ökosystemdienstleistungen ist die Veränderung von Landnutzungsformen. Unter anderem wird massenhaft Wald in Agrarflächen umgewandelt. Durch die Schaffung von Monokulturen sind bereits jetzt viele Landschaftselemente verschwunden, die Wildtiere zum Überleben brauchen. Und das ist beileibe nicht nur für Tiere gefährlich. In den Überlappungszonen zwischen Natur- und Kulturlandschaft entstehen Hochrisikozonen für Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen. Die Covid19-Pandemie hat uns schmerzlich aufgezeigt, wie gravierend die Folgen sind.

Ein Hoffnungszeichen aus Montreal

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung fand im Dezember 2022 die Biodiversitäts-Konferenz der Vereinten Nationen in Montreal statt. Die Vertreter von rund 200 Ländern kamen nach einem äußerst schwierigen Tagungsverlauf überein, bis 2030 rund 30 Prozent der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen und darüber hinaus verlorene Ökosysteme wiederherzustellen. Bezogen auf die Fläche bedeutet dies in etwa eine Verdoppelung der aktuell geschützten Gebiete. Ähnlich wie bei den Klimakonferenzen ist allerdings keineswegs sichergestellt, dass die Umsetzung der Beschlüsse ein Selbstläufer wird.

Persönliche Handlungsfelder

Was lässt sich gegen den Verlust biologischer Vielfalt tun? Auf jeden Fall gibt es auch auf persönlicher Ebene Handlungspotenzial. Wer seinen Fleischkonsum verringert und Lebensmittelverschwendung vermeidet, hat schon einen kleinen Beitrag geleistet.

Weitere Ansätze: Wenn Sie eine Katze haben, binden sie Ihr während der Nist- und Brutzeit ein Glöckchen um, um Vögel zu schützen! Balkon- und Gartenbesitzer wiederum können bienenfreundliche Pflanzen einsetzen oder weitergehend nach den Prinzipien der Permakultur gärtnern.

Biodiversität in unseren Fonds

In unseren Nachhaltigkeitsrichtlinien spielt der Erhalt bzw. der Wiederaufbau von Biodiversität an mehreren Stellen eine Rolle. Im Rahmen der klassischen Nachhaltigkeitsanalyse sind dies z.B. die Ausschlüsse von Pestizidherstellern und Unternehmen, die ein kontroverses Umweltverhalten an den Tag legen. Auch unsere Mindestanforderungen in Bezug auf die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) stehen in direktem Zusammenhang mit Biodiversität. Zu nennen sind vor allem die Ziele 2, 6, 12, 14 und 15 (Bekämpfung von Hunger, Trinkwasser, verantwortlicher Konsum, Ozeane und Landnutzung). 

Das Weltwirtschaftsforum schätzt das Volumen des Marktes für „biodiversitäts-freundliche“ Investitionen auf mehr als 10 Billionen Dollar. Wer als Anleger etwas dazu beitragen möchte, biologische Vielfalt zu erhalten, hat also enorme Möglichkeiten. Im Fokus stehen dabei die Wirtschaftssysteme, die für etwa drei Viertel der Verluste an „Naturkapital“ verantwortlich sind, allen voran der Sektor Ernährung. Gelingt es, die beteiligten Unternehmen zu einem nachhaltigen Handeln zu bewegen, dann ist dies zugleich eine wichtige Investition in unser aller Zukunft.

Andreas Stehr

 

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