Direkter Weg zu Depot & Bank:
Hallo Jürgen, eigentlich hast du momentan andere Sorgen, als Interviews über die Flut zu führen. Aber du sagst selbst, Reden hilft beim Verarbeiten. Wie geht es dir vier Wochen nach dieser verheerenden Flut, die deine Heimat, das Ahrtal, in ein Katastrophengebiet verwandelt hat?
Nachdem wir am Morgen dieser schrecklichen Nacht das ganze Ausmaß der Zerstörung unseres Tales gesehen haben, hat man es nicht richtig wahrhaben wollen. Die Aufräumarbeiten haben direkt begonnen, mit unzähligen freiwilligen Helfern, darunter besonders viele junge Menschen. Wir selbst standen unter Schock, haben nur irgendwie funktioniert. Und nun kommt man langsam in der Realität an und weiß, dass es eine Herkulesarbeit sein wird, das Ahrtal wiederherzustellen.
Was bedeutet diese Naturkatastrophe für deine Familie und dein privates Umfeld?
In unserem Haus und dem meines Sohnes, der nebenan wohnt, stand das Wasser über einen Meter hoch im Erdgeschoss. Alles außer dem Obergeschoss muss nun bis auf den Rohbau zurückgebaut werden. Aber auch die restliche Familie ist massiv betroffen. Schwiegereltern, Bruder, Schwäger und Schwägerinnen, Nichten und unsere Freunde – nahezu jeder aus unserem direkten Umfeld hat sein privates Trümmerfeld. Das Ausmaß der Schäden ist so groß, dass sich jeder gezwungenermaßen zunächst auf seine eigenen Aufgaben konzentrieren muss. Doch es ist schwer auszuhalten, den anderen nur begrenzt helfen zu können. Alle haben ihre zerstörten Wohnungen und Häuser verlassen und wohnen im näheren oder weiteren Umfeld. Es wird lange dauern, bis wir zurückkehren können. Wir rechnen mit einem Jahr. Neben dem Wiederaufbau des Zerstörten wird der Erhalt der sozialen Gemeinschaft, die so wichtig ist wie die Luft zu atmen, eine weitere Herausforderung sein.
Dieses Interview beginnt mit einem Bericht von dir über 20 junge Menschen, die spontan halfen, den Pellets-Keller zu leeren. Ich finde dieses Engagement toll.
Gerade bei uns im Ahrtal, das so schlimm getroffen wurde, gibt es unglaublich viel Solidarität. Praktisch jeder kann solche Geschichten erzählen. Als wir unsere jungen Helfer nach ihren Namen und Adressen fragten, kam nur die Antwort: „Alles ist gut. Ihr braucht uns nicht zu danken. Wir haben dies gerne für euch gemacht.“ Da kommen einem schon die Tränen. Gerade mein Blick auf die junge Generation, der auch vorher schon positiv war, hat sich nochmal besonders geschärft. Auch war meine Familie sehr dankbar, dass sich Kolleginnen und Kollegen unserer Bank spontan in die Reihe der Helfer eingereiht haben und angepackt haben. Den Kugelschreiber und den PC zur Seite, die Schaufel und den Eimer in die Hand.
In schweren Zeiten treten Licht und Schatten stärker hervor. Wie klappt es insgesamt mit der Nothilfe? Es gibt viele freiwillige Helfer, aber auch Politik und Behörden sind hier gefragt.
Es war relativ schnell eine große Anzahl von organisierten Hilfskräften vor Ort. Die Herausforderung für die Hilfskräfte kann man nur fair bewerten, wenn man weiß, dass das Ahrtal auf einer Länge von ca. 35 km zerstört ist. Über 60 Brücken existieren nicht mehr, die wichtigste Verbindungsstraße zwischen den Orten und die Bahnstrecke sind vollständig zerstört. Es war mit Sicherheit für den Krisenstab eine enorme Herausforderung sich ein Lagebild zu verschaffen und die Kräfte gezielt einzusetzen. In den ersten Tagen stand dabei die Menschenrettung in den eingeschlossenen Ortschaften im Vordergrund. Auch hier ist bemerkenswert, dass Hilfskräfte aus der ganzen Republik und den angrenzenden Ländern vor Ort waren.
Wir haben viel Wohlwollen gespürt. Aber es ist richtig, dass vor allem die spontane Hilfe der vielen Freiwilligen jeden Einzelnen in seiner Situation gestärkt und uns sehr gutgetan hat. Alleine hätten die Menschen im Ahrtal es nicht geschafft.
Allein im Ahrtal, das zu Rheinland-Pfalz gehört, sind mindestens 131 Menschen ums Leben gekommen. Viele Familien stehen vor dem finanziellen Ruin. Dazu kommen gigantische Schäden an der Infrastruktur und – das darf man nicht vergessen – an den sozialen Strukturen. Was bedeutet die Katastrophe für das Ahrtal?
Das Ahrtal als Weinregion und Touristenmagnet, das viele kennen und lieben, gibt es so nicht mehr. Es wird Jahre dauern, bis dieser wunderschöne Flecken Erde wieder so attraktiv sein kann, dass Menschen hier ihren Urlaub verbringen. Aber es stimmt mich enorm zuversichtlich, dass sehr viele Bewohner des Ahrtals sagen: Wir bauen das wieder auf. Sicherlich anders, denn man kann nicht einfach alles wiederherstellen, wie es war. Aber gerade die Jugend sagt: Ja, wir wollen unsere Heimat wiederaufbauen.Wir haben es hier mit einer Naturkatastrophe zu tun. Aber auch der Klimawandel spielt eine Rolle. Was können wir daraus lernen?
In diesen Wochen seit der Flutwelle haben wir noch mal mehr über unsere Art zu leben nachgedacht. Darüber, wie wir mit der Natur und der Umwelt umgehen. Sicherlich hat das Festsetzen der Regenfront, die zu diesen Unmengen von Wasser geführt hat, auch mit der klimatischen Veränderung zu tun. Die Versiegelung der Landschaft und die Besiedelung von Auslaufflächen sind weitere Gründe, die zu den katastrophalen Folgen dieses Unwetters geführt haben. Wir müssen umdenken. Aus eigenem Interesse, aber auch, weil wir eine Verpflichtung gegenüber der Natur und besonders den nachfolgenden Generationen haben.
Du setzt dich schon so lange als Geschäftsführer der Steyler Ethik Bank mit Themen wie dem Klimawandel auseinander und förderst ökologische Geldanlagen. Zugleich hat unsere Bank viele arme Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern unterstützt, auch nach vergleichbaren Unwettern. Tatsächlich sind arme Regionen noch verletzlicher. Aber es zeigt sich auch: Wenn es ums Klima geht, sitzen wir alle in einem Boot …
Lange Zeit waren wir der Meinung, wir haben alles im Griff. Die Natur und die Umwelt zeigen uns aktuell unsere Grenzen auf. Die Veränderung ist auch bei uns angekommen und hat kolossale Auswirkung auf unser Leben. Wir erleben gerade im Ahrtal, dass nichts mehr ist wie es war.
Klimaschutz ist eines. Aber ganz aufhalten können wir die globale Erwärmung ohnehin nicht. Es braucht also auch noch mehr Anpassung an die neuen Begebenheiten. Was denkst du darüber? Ergeben sich vielleicht auch neue Impulse für uns als nachhaltige Bank?
Das ist richtig. Auch die Anpassung an klimatische Veränderungen ist wichtig, da die globale Erwärmung allenfalls begrenzt werden kann. Ob wir auf diesen Aspekt als nachhaltiger Investor noch mehr Augenmerk legen müssen, kann ich momentan noch nicht sagen. Auf jeden Fall gilt unser Augenmerk weiter der Förderung von Unternehmen und Projekten, die in Bezug auf die Nachhaltigkeit sehr fortschrittlich, vielleicht sogar vorbildlich sind. Dies ist eine wichtige Aufgabe für die Finanzmärkte. Das wussten wir schon vorher, und das Erlebte bestärkt mich in dieser Überzeugung.
Jeder Einzelne kann hier mit seiner Geldanlage Akzente setzen, indem er ökologische Kriterien berücksichtigt. Wir dürfen nicht warten, bis Politik und Staat Vorgaben machen, auch wenn deren Beitrag natürlich besonders wichtig ist. Jeder von uns ist in der Verantwortung.
Das Interview führte Armin Senger .
Wenn Sie helfen wollen:
Unser Gesellschafter, die Steyler Mission, hat einen Hilfsfonds für die Flutkatastrophe errichtet. Weitere Informationen finden Sie hier .
Zum Webportal der Steyler Ethik Bank | Impressum | Datenschutz | AGB | Rechtliche Hinweise | Bildnachweis | Kontakt | Newsletter | Ethik-Depot-Check